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(m)Eine, (d)Eine, (k)Eine Heimat

Das Thema ist und bleibt ein wichtiger Bestandteil des Festivals: Tradition, politischer Anspruch und das Thema überhaupt ist mit ein Grund für das andere Flair vom Flair.

Es muß klar umrissen sein, griffig, interessant und anspruchsvoll, mit Bezug zu unserem Lebensraum, jugendgemäß, es soll Perspektiven für das eigene Leben und das in der Region aufzeigen, und ein lebendiges, lustvolles, spannendes, konkurrenzfähiges Auseinandersetzen von Leuten aus der Region mit Leuten aus der Region zu Themen der Region.

Wenige Themen sind denkbar, die diesen Ansprüchen gerechter werden als Heimat.

„Ja, klar", denkt sich jetzt wohl jeder. „Heimat, das ist doch ....", und schon geht es los:
„Heimat ist doch das, wo ich herkomme" oder „... das, wo ich jetzt lebe!"
„Heimat ist doch da, wo ich Kind war" oder „...da, wo ich einmal leben will!"
„Heimat ist doch der Grund, irgendwo aktiv zu werden!" oder „ ... ist der Grund, irgendwo wegzugehen."
„Heimat ist doch da, wo ich zu Hause bin!" oder „ ... da, wo ich nicht mehr zu Hause sein kann!"

Beeindruckend wirkt da der Satz von Ch. Graf von Krockow, der in etwa lautet:
„Es gibt so viele Heimaten, wie es Menschen gibt. Denn Heimat wird mit jedem Menschen neu geboren, wird von jedem Menschen gelebt und stirbt mit diesem Menschen wieder."

Ist Heimat demnach ein völlig subjektives Thema, zu dem jeder was sagen kann, und wo auch jeder mit dem, was er sagt, recht hat?

Es gibt viele, die etwas zu Heimat zu sagen haben: jede wissenschaftliche Disziplin, jede Kultursparte, jeder Gesellschaftsbetrachter findet die Nischen für ein eigenes Heimatbild:
Folklore, Europa, Dorf, Globus, Stadt, Ökologie, Musik, Frauen, Film, Männer, Arbeit, Exil, Heine, Jugend, Deutschland, Dialekt, ......
alles hat etwas mit Heimat zu tun.

Und trotzdem hat Heimat im Alltag keinen festen Platz. Sie fasziniert zwar, erschreckt aber auch, rückt in den Hintergrund, es gibt Wichtigeres.

Die Frage „Was ist Heimat?" bleibt meist im ersten Moment nach einem Stirnrunzeln unbeantwortet. Doch eine intensive Auseinandersetzung mit „Heimat" läßt viele mögliche Assoziationen zu.

Man denkt erst einmal an: „Dicke-Backen-Musik, Bayern und Gamsbart, Traditionen, der Förster vom Silberwald meets die drallen Möpse in der Lederhose ...". Heimat wird als starr, engstirnig, konservativ, altmodisch oder muffig empfunden. Veränderungen sind nur schwer durchzuführen, denn Traditionen, die über Jahrzehnte den Heimat-Begriff geprägt haben, sind fest verankert. Eine funktionalisierte, standardisierte Kulisse, aber für wen eigentlich?

Mit dieser Frage erweitert sich die Sichtweise von Heimat. Schlagwörter wie „Wir sind wir", „Nationalismus", „Rassismus", „Ihr müßt leider draußen bleiben und wir hier" und „heim ins Reich" geben Heimat einen negativen Beigeschmack. Heimat gehört immer den Anderen, wird von den Anderen besetzt, benutzt, mißbraucht - was bleibt da mehr als die stille Sehnsucht eines Ausgestoßenen.

Wieso eigentlich Sehnsucht? Weil Heimat für jeden notwendig ist. Heimat bedeutet auch Ruhe, Geborgenheit, Sicherheit, ist ein Standpunkt, eine Basis, ist der Ausgangspunkt für Pläne, Hoffnungen und Zukunft, gibt die Kraft für Engagement und Einmischung, ist die Voraussetzung für die Entwicklung von Identität.

Aber was ist diese „Heimat"? - Wenn sie von vielen als notwendiges Lebenselexier empfunden wird, muß sie doch auch zu beschreiben, zu greifen sein!

Der Ort der Kindheit, der Ort wo ich lebe?
Ist Heimat denn überhaupt ein Ort? Eine Region? Ein Land?
Sind alle Vertriebenen, Gegangenen, Geflohenen dann aktuell heimatlos?
Oder gibt es die „soziale" Heimat, da, wo meine Freunde sind, die Menschen und Verhältnisse, die ich kenne?

All diese Fragen spiegeln die verschiedenen Möglichkeiten des Heimatverständnisses jedes Einzelnen wieder, so daß Heimat für jeden in unterschiedlicher Art und Weise greifbar ist.

Heimat hat Geschichte.
Die Auseinandersetzung mit Heimat fand zu verschiedenen Zeiten mit unterschiedlicher Intensität und in unterschiedlichen Formen statt - immer abhängig von „großer Politik" und gesellschaftlichen Entwicklungen.
Konjunkturphasen der Heimat
- das Kaiserreich, als sich die Gesellschaft mit dem Aufkommen von Industrialisierung und Kapitalisierung neu ordnete
- die Weimarer Republik, als unter dem Eindruck von Versailles und politischer Instabilität nach der deutschen Identität gesucht wurde
- im Dritten Reich, als diese Suche nach Identität der Ideologie der Nationalsozialisten half und später die „Heimatfront" angesichts der Kriegswirren stärkte
- „Brennend heißer Wüstensand, fern, so fern dem Heimatland, dort wo die Wälder grün ..." schlagerte es angesichts der verwüsteten Städte im Nachkriegsdeutschland
- Mit der „internationalen Solidarität" verunsicherten die 68er, suchten aber gleichzeitig auf der Burg Waldeck in der Folklore ihre Heimat
- Und als Anfang der 80er Jahre der „Nachrüstungsbeschluß" Kriegsängste wachrief, wurde „Schabbach" in Edgar Reitz’ „Heimat" - Serie zum Kultort.

Und heute? Massenarbeitslosigkeit, desolate Wirtschaftsprognosen, Risikogesellschaft, Individualisierung, Internet und unbedingte Mobilität, Perspektivlosigkeit und ...

Wird es wieder Zeit für Heimat?

Heimat als einfache Antwort auf schwierige Fragen in einer immer komplizierteren Welt? Heimat als Stütze für Hilfslose, als Plombe für Probleme, die schmerzen?

Oder Heimat als Möglichkeit, sich der eigenen Umwelt bewußt zu werden, die eigenen Standpunkte zu erkennen, die Auseinandersetzung mit den eigenen Lebensverhältnissen zu führen, um dann Utopien, Zukunft und Perspektiven denken zu können?

Heimat ist und war beides: Kitsch und Verblendung genauso wie die ernsthafte Suche nach Identität und Lebensqualität.

Heimat - hier und heute

„jeder gegen jeden, hauptsache es knallt.
die seele verhökert, alles sinnentleert,
keine innere heimat, keine heimat mehr."

Herbert Grönemeyers Fazit unserer Gesellschaft
Und unser Gefühl angesichts der Welt, in der wir leben?

 

Ozonloch über der Antarktis, Raubbau im Regenwald, 10 Jahre Tschernobyl, unsere Arbeitsplätze in Portugal, Computer global:

Probleme weltweit - wie aktuell ist dann die Auseinandersetzung mit Heimat? Muß diese Suche nach Heimat nicht versanden im riesigen Berg der Probleme?

Heimat ist heute keine Selbstverständlichkeit mehr. Die wenigsten werden in eine Heimat geboren, erleben ihre Welt als klar und geordnet, als Sicherheit und Geborgenheit gebend.
Geblieben ist die Sehnsucht.

Vieles ist in Auflösung begriffen und in Bewegung geraten;

wir werden aus der bekannten Heimat vertrieben - weniger durch Diktatur oder Armut wie in vielen Teilen dieser Welt, aber durch immer neue, differenziertere und extremere Anforderungen, die eine sich rasant verändernde Welt uns scheinbar abverlangt.

Das Bekannte gilt nichts mehr.

Dieser „Vertreibung aus der Heimat" nicht hilflos zuzusehen kann nur bedeuten, sich Heimat wieder neu zu schaffen.
Nichts gegen diese Veränderungen.

Aber um diese von außen kommenden Veränderungen mit dem eigenen Leben in Einklang bringen zu können, muß man bewußt entscheiden können, welche Veränderungen man will und welche nicht. Dies bedeutet, sich zu fragen, wie dabei Utopien einer Heimat aussehen können.

Wie möchte ich leben?
Wie soll meine Welt aussehen, in der ich zu Hause bin?
Wie und wo möchte ich wohnen und arbeiten?
Wo und mit wem möchte ich meine Freizeit verbringen?
Mit den individuellen Antworten kann jeder aktiv umgehen, sich mit anderen austauschen, sich einmischen und seine Umwelt mitgestalten. Nur so „entsteht in der Welt etwas, das allen in die Kindheit scheint und worin doch noch niemand gewesen ist: Heimat" (nach Ernst Bloch).

Viele Menschen, die in diesem Sinne auf der Suche nach Heimat sind, können das Gesicht einer Region in ihrem Sinne verändern, einen Lebensraum gestalten, der diesem Gefühl eine Chance läßt: eine Heimat haben.

Auch am Anfang der Geschichte des Festivals stand die Frage nach der Heimat, wie bei so vielen Initiativen, die versuchen, das Gesicht dieser Region mitzugestalten. Meist steht die individuelle Entscheidung „Abhauen - oder bleiben?" am Anfang des Engagements in der Region. Und diese Frage ist immer auch die Frage nach Heimat, die jeder für sich beantworten muß!

Mit unserem inhaltlichen Programm möchten wir eine Auseinandersetzung über den Heimat-Begriff von und mit vielen Menschen, bei der vielleicht Ansätze für neue Ideen und Gestaltungsmöglichkeiten der persönlichen Heimat entstehen.

 


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Letzte Änderung am 20 Mai 1996.
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