
Ein gutes Gewissen
Die ausgereifteren unter unseren geschätzten Lesern
können sich vielleicht noch an die gigantische Werbekampagne
für einen bekannten Weichspüler erinnern, bei deren
Fernsehspots der Zuschauer stets Zeuge einer
Persönlichkeitsspaltung wurde: Einer Dame, deren Wäsche
zunächst ohne besagten Weichspüler hatte auskommen
müssen, entstieg finster blickend ihr schattenhaftes Abbild,
das sie sogleich schwer tadelte: das schlechte Gewissen. Nach dem
Einsatz des gepriesenen Mittels, im Kreise der nunmehr
glücklich strahlenden Familie, stellte sich die Dame dann
wiederum neben sich, um sich nunmehr anerkennend auf die Schulter
zu klopfen: "Siehst du, jetzt hast du ein gutes
Gewissen."
Warum ich an diese längst verstaubte Episode
bundesdeutscher Werbedummheit erinnere? Nun, vor nur wenigen
Tagen ging es mir ganz genau so wie damals jener Dame im
Werbespot. Ich saß am Schreibtisch und wollte das Editorial
für die Ausgabe 4/5'96 der in'side online
schreiben. Es sollte etwas über elektronisches
Einkaufen und vor allem über den Chat
im Internet darin vorkommen zwei der unzweifelhaft
heißesten Themen dieses Hefts. Plötzlich löste
sich fast unmerklich ein geisterhaft schimmerndes Gegenstück
meiner selbst von mir, schwebte neben mich, legte mir eine kalte
Hand auf die Schulter und fragte mich streng: "Warum
schreibst du eigentlich nichts über Emoticons?"
Für diejenigen, die diesen Begriff wider Erwarten noch
nicht gehört haben sollten, sei eingeflochten, daß es
dabei um kleine Gesichter geht, die man aus Buchstaben und
Sonderzeichen zusammensetzt. Sie werden stets um 90 Grad gedreht
abgebildet. Emoticons sollen den Gemütszustand des
jeweiligen Verfassers symbolisieren. Man verwendet sie in E-Mail,
beim Verfassen von Nachrichten für die Newsgroups und
natürlich beim Chatten, nach dem Motto: Ein Emoticon ist
schnell getippt und sagt mehr als fünfzig Worte. :-)
Protestierend antwortete ich meinem Gewissen: "Das Thema
ist mehr als abgelutscht!" Das stimmt zweifellos. Jede
zweitklassige Tageszeitung hat ihre Meldungslöcher schon mit
Hinweisen auf die Zeichen-Smilies gefüllt, Listen von 50 und
mehr der unterschiedlichsten Emoticons geistern durch die Server
des Internet, und jeder halbwegs informierte Netzbewohner benutzt
die Dinger einfach nur noch, ohne daß er zum hundertsten
Mal etwas darüber lesen möchte. :-(
"Aber du hast das Thema mal wieder versäumt. In der
Erstausgabe keine Liste! In der zweiten auch
nichts. Und jetzt?" keifte mein Gewissen böse. >:-|
"Ich werd' noch verrückt!", versetzte ich. %-)
Ich wußte nicht, ob ich lachen :-D oder
weinen :'-( sollte.
"Dann zünde dir zur Beruhigung erst mal eine Pfeife
an", riet mein Gewissen. :-?
Ich entgegnete: "Aber ich wollte doch etwas über den
IRC schreiben, und über Mieze, und darüber, auf welch
unkomplizierte Art man Leute beim Chatten kennenlernt, und vor
allem über die Sound-Connection im Kanal #Leipzig des Undernet, und ..." :-@
"Dafür ist jetzt sowieso kein Platz mehr",
entgegnete mein Gewissen. :oP Es schielte auf
mein halbfertiges Manuskript, zählte irgend etwas und meinte
dann süffisant:
"Siehst du, jetzt hast du ein gutes Gewissen!"
(:o))
Daraufhin empfahl es sich, um noch irgendwo etwas zu
erledigen. Ich blieb zurück , leicht verwirrt. Wenn ich das
den anderen in #Leipzig erzähle... ah, es ist gerade
wieder 13 Uhr, also nichts wie ab ins Undernet. Wir sehen uns...
Allzeit gute Connects wünscht Ihnen Ihr
Peter Schmitz,
Chefredakteur
P.S.: garfield gruesst mieze * smack! * :o*>