Meine Königin

von Andreas Böse

Nur widerwillig gab der Traum mich frei. Mein Pferd hatte sich vom Meer abgewandt und den Hang zu ersteigen begonnen. Die Neigung ließ mich im Sattel rutschen, so daß ich beinahe den Halt verlor. Noch ganz benommen glitt ich zu Boden und mein vom Schlaf umflorter Blick durchwanderte die Szenerie.

Ich war am höchsten Punkt einer Klippe angekommen. Tief unten brandete das Meer auf einen steinigen Strand. Nur schwach drangen seine Klänge an mein Ohr. Über mir erhob sich ein Turm aus schwarzem Stein. Zu meiner Rechten ein Garten umfriedet von einer niedrigen Mauer aus lose aufgestapeltem Schiefer. Jenseits versperrte die Front eines dichten Waldes den Blick ins Hinterland. Ein Bach fand seinen Weg aus diesem dunklen Forst zur Küste. Jenseits der Mauer und des Baches stieg der Hügel weiter an. Ein sorgsam gepflügter Acker bedeckte seine Flanke. Im Garten wuchsen Apfelbäume, geduckt und knorrig, wie Sturmwind und karger Boden sie geformt hatten. Sie waren über und über bedeckt mit Blüten und die Bienen umtanzten sie in verschlungenem Reigen. Ein wunderbarer Duft lag in der Luft - ich hatte ganz vergessen, daß Frühling war.

Dort zwischen all der Pracht stand sie, im weißen Leinenkleid, das Haupt bekränzt von Blumen. Ihr langes dunkles Haar floß ungezähmt. Ihr Blick war voll Erstaunen, wie der meine. Feenkönigin nannte ich sie später oft im Scherz und meine Gedanken wanderten zurück zu jenem Tag.

Nie war die Zeit uns lang. Kein Tag war wie der andere und doch vergingen alle viel zu schnell. Sah ich ihr in die Augen, so fand ich dort den alten Zauber, auch wenn die ersten Falten sie umgaben. Sie strich mir sanft durchs Haar, lachte und hänselte mich, als sie die ersten grauen fand. Keine Nacht war zu kalt, mit ihr an meiner Seite.

Eines Tages drang Musik an meine Ohren. Harfe, Flöte und Trommelschlag verbanden sich zu fremdartiger Weise und schwebten über das reife Korn den Hügel hinab. Wir saßen nebeneinander auf unserem Lager, sacht hatte sie den Kopf an meine Schulter gelehnt, ließ mich ihr weißes Haar flechten, wie ich es schon so oft getan. Den Blumenkranz setzte ich ihr aufs Haupt, er blühte noch wie am ersten Tag. So leicht war sie, doch fand ich kaum die Kraft sie hinabzutragen. Unten warteten bereits die Musikanten. Einen Tragsessel hatten sie mitgebracht, darin ich sie niedersetzte. Es waren Männer und Frauen von seltsamer Art. Kaum bis zur Brust reichten sie mir, in ihrem Haar wuchs Efeu und ihre Ohren waren spitz. Ein letztes Lächeln erhaschte ich von meiner Lieben, dann trugen sie sie fort von mir.

Eine Ruine stand jetzt dort am Klippenrand. Nur die Apfelbäume waren noch wie immer. Die alten Äste voll mit reifen Früchten. Ein Hauch von süßlichem Verfall durchzog den Garten - ich hatte ganz vergessen, es war Herbst. Und unten auf den Steinen lag ein Boot, lang und schmal, gänzlich weiß, mit einem viereckigen Segel.

Hier hielt mich nichts. Mühsam war der Weg die Klippe hinab. Mit meinem Gewicht im Bug rutschte das Boot von den Felsen in die ruhige See. Zurückzublicken hatte keinen Sinn, der Nebel verschlang bereits das Land. Klamme Kälte kroch in meine Glieder, schon griff der Schlaf nach meinen Lidern. Ein schwacher Duft erfüllte mich mit neuem Leben und in meinen Händen fand ich eine weiße Blüte. Nässe netzte ihre zarten Blätter und ich erinnerte mich an Frühling und meine Feenkönigin.