Sprechen ohne GesprächMichael Löffler Der Türöffner mit dem Magnetkartenleser
sah eigentlich ganz normal aus, aber die Zimmernummer in hellblauen Metallettern
"VC 1.0" wirkte utopisch. Sowie ich das dunkle Zimmer betreten hatte, räusperte
ich mich kurz und versuchte es: "Licht an". Siehe da, das Licht ging wirklich
sofort an. "Licht aus". Schon stand ich wieder im Dunkeln. Nach einigen
weiteren Versuchen ein kurzer Abstecher in das Badezimmer und dort das
selbe Spiel. Es funktioniert - erste Stimmung kam auf. Es ist schon erstaunlich,
worüber man sich freuen kann.
Erst jetzt sah ich mich im Zimmer um: Alles wirkte
relativ normal, zumindest solange, bis mein Blick am Bildschirm hängen
blieb, der an der Wand gegenüber vom Bett angebracht war und mindestens
zwei Meter Diagonale hatte. Durch die Erfahrung mit dem Licht und den Anblick
dieses riesigen Dinges erwachte Capitan Kirk in mir und ich schwang mich
auf das Bett. In aufrechter Haltung und mit überzeugtem Kommandoton
gab ich ein "Fernseher ein" von mir. Nichts. "Fernseher E I N". Nichts.
Nach einigen weiteren Versuchen mit Variationen von "Apparat" bis "TV"
und mit deutlich gedämpfter Euphorie erinnerte ich mich an den kleinen
Beipackzettel, den ich als Schnellhilfe zusammen mit der Türkarte
an der Rezeption bekommen hatte. Kurz ein Blick hinein und - "Hauptschirm
ein" - naja, Enterprise läßt grüßen! Am Schirm erschien
ein groß dargestelltes Menü zur Auswahl - Telefon, Radio, Fernseher,
Video bis zum Zimmerservice. Wunderbar, ich wollte ja ohnehin zu Hause
anrufen, also "Telefon". Am Schirm zeigte sich eine monströs große
Nachbildung eines konventionellen Tastentelefons mit LCD-Display. Bei Ansage
der Nummern wurde jeder Tastendruck optisch und akustisch simuliert und
die Ziffer am Display dargestellt. Dieses krampfhafte Festhalten an alter
Symbolik bei der Überführung alter Modelle auf neue Techniken
halte ich für Schwachsinn. Neue Techniken erfordern adäquate
Interfacemodelle. Aber gut, es hätte ja auch noch ein Drehscheibentelefon
mit ratternder Wählscheibe nachgebildet sein können. Das Telefonat
mit der Freisprecheinrichtung war nicht wirklich neu. Einzig mein Forscherdrang
herauszufinden, von wo im gesamten Zimmer einschließlich des Bades
das oder die Mikrophone meine Stimme gut aufnehmen können, veranlaßte
mich zu einigen Verrenkungen und Expeditionen an Ecken und Orten, von wo
aus ich normalerweise keine Telefonate führen würde. Aber es
ist doch gut zu wissen, daß man auch am stillen Örtchen ruhig
mit dem Telefonieren fortfahren kann; schließlich war es ja kein
Bildtelefon. Nach den Telefonexperimenten wieder in meiner Kommandozentrale, sprich dem Bett, angekommen, wollte ich nun aber wirklich auf dem Schirm etwas sehen. Jetzt, da der "Hauptschirm" ja eingeschaltet war, wurde auch das Kommando "Fernseher ein" umgehend akzeptiert. Das Fernsehbild füllte bis auf einen kleinen Streifen am linken Rand, wo die Kanäle aufgelistet waren, den gesamten Bildschirm aus. Gott sei Dank hatte hier keiner den alten Fernseher mit Mahagonigehäuse nachgebildet. Die trivialen Kommandos für Lautstärke und Programme beeindruckten mich nach meiner Erfahrung der ersten halben Stunde nicht mehr. An der raschen Gewöhnung erkennt man, wie sehr wir zur Sprache als Kommunikationsmittel tendieren. Wirklich interessant waren aber die komfortablen Suchbegriffe, die es ermöglichten, das Programm über Genre, Thematik und Schauspieler auszuwählen. Über Bildschirmmenüs wäre das sehr aufwendig und zu mühsam gewesen. Hier aber einfach "Krimi, Intrige, Demi Moore" zu sprechen und eine komplette Liste zur Auswahl zu erhalten, das macht Spaß. Das wäre schon was für das eigene Wohnzimmer, der Verlust der formschönen Designerfernbedienung wäre schnell überwunden. Das leichte Kratzen im Hals machte mich aufmerksam, daß ich seit meinem Eintreffen ständig mit lauter Kommandostimme gesprochen hatte. Nachdenklich stimmte mich allerdings, daß ich, bis auf das Telefonat mit meiner Frau, meine gesamte Unterhaltung recht einseitig mit Maschinen geführt hatte. Sind wir in unserer heutigen Zeit wirklich schon am Punkt angelangt, wo wir mehr mit Maschinen kommunizieren als mit Menschen? Wenn wir Apparate bedienen oder Computertastaturen bearbeiten, fällt uns das gar nicht mehr auf, aber hier, wo man wirklich mit den Geräten spricht, wird es offensichtlich! Oder geht es sogar noch weiter, ist die Kommunikation überhaupt noch eine Domäne von intelligenten Lebewesen wie Mensch und Tier oder überwiegt heute schon die Kommunikation von Maschinen untereinander? Ich glaube, es wird in Zukunft immer wichtiger, daß wir die Mensch-zu-Mensch Kommunikation bewußt pflegen und ihre einzigartigen Vorzüge zu schätzen lernen. Nur dort spielen typisch menschliche Eigenschaften wie Gefühle und Stimmungen eine wesentliche Rolle und nur dort sind wir in der Lage, über geistige, emotionale und spirituelle Dinge zu kommunizieren und zu wirklich neuen Gedanken und Ideen zu gelangen. Es sind doch immer diese Gespräche, die uns faszinieren, uns Freude bereiten und zur persönlichen Entfaltung und Weiterentwicklung beitragen. Vielleicht müssen wir wirklich den niedrigen Teil unserer Kommunikation an die Maschinen abtreten und uns auf wesentliche Inhalte konzentrieren. Es könnte ja sein, daß dies nur einen weiteren Schritt der Evolution darstellt, in dem die Maschinen mit einbezogen werden. Darüber ließe sich schon mal ein Stündchen nachdenken - oder noch besser kommunizieren - am besten aber mit jemanden unserer Spezies. "Hauptbildschirm aus" - "Licht aus" |
--- Michael Löffler --- ml@magnet.at ---