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Es ist spät geworden, wieder mal. Ich weiß, ich sollte mich zügeln, sollte der
Selbstzerstörung Einhalt gebieten, weil die Vernunft es sagt. Doch wen
interessiert das, soll ich um ihrer Willen der Askese die Pforten öffnen, nur
damit man später sagen kann, ich wäre der richtigen Syntax folgend an meinem
Schmerz gestorben? Nein, das ist nichts für mich. Lieber sitze ich auch weiterhin Nacht für Nacht hier in meinem Elfenbeingestürm und suche nach der nächsten Antwort, solange mir dieser Karnevalstyp mit der Sense nicht zuvorkommt. Und wenn doch, was macht das schon? Schließlich habe ich selbst in freier Entscheidung, sozusagen als mündiger Bürger, oder wie das heißt, den Grundstein für seine Ankunft gelegt. Da gibt es ein Lied, in dem heißt es "Stille Nacht, heilige Nacht", mag sein, sie ist heilig, doch ist sie alles andere als still, die Nacht, sie kann schreien, lauter als ihr von der Natur zu ihrem ewigen Gegner hochstilisierte Tag mit seinem hektischen Gebrüll sich vorzustellen in der Lage ist. Denn nur hier, in der Dunkelheit und Abgeschiedenheit, fern der schnellebigen Wechselwirkungen und geschäftsmäßigen Betriebsamkeit, frei der Oberflächlichkeiten, die uns so sehr abzulenken in der Lage sind, nur hier in der unbarmherzigen Klarheit der Nacht vermag man all jene Schreie zu hören, denen wir sonst keine Beachtung schenken, nicht weil sie nicht laut genug wären, wir halten sie einfach nicht für bedeutsam, sind viel zu sehr damit beschäftigt, uns ganz und gar unserem Schein hinzugeben. Imagepflege bis zum Persönlichkeitsverlust, sign of the times, oder doch nur Furcht vor uns selbst? Warum sonst sind wir so eifrig bemüht, den Mantel des Schlafes und der Träume über einer jeden Nacht auszubreiten, ihrem Schrei aus dem Weg zu gehen, der uns sagen könnte: "Du bist zu einem Mitläufer geworden, nur noch ein Rad im Uhrwerk, nicht mehr." Möglicherweise bin ich nicht mehr bei Sinnen, verzehrt von den Schreien der Nacht, doch das ist mir immer noch lieber, als den Rest meines Lebens nur noch ein leises "tick, tick, tick" von mir zu geben. |
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Ich sitze im Schatten, meine Füße baumeln am Rand des Wahnsinns, während mein
Körper stumm gelähmt die Agonie meiner Seele ignoriert. Das ganze Leben jeden
Tag neue Schuhe, doch immer dieselben Füße, täglich mehr Last zu tragen, weil
immer schwerer wird der Kopf. Neue Schrauben für die Denkmaschine, eine jeden
Tag, an manchen zwei, drücken sich fest in das Canadian-Club-getränkte Hirn,
das die selbstproduzierten Gedanken aufsaugt, bis es platzt. Es ist Nacht geworden, vor tausenden von Schrauben bereits. Viel zu dunkel ist es, die gebrochenen Füße zu sehen, die noch immer baumeln, als wären sie bereit, ein letztes Mal noch zu laufen, ein letztes Mal noch den Kopf zu tragen, wohin es ihn treibt. Der Brille zum Trotz sehe ich nicht mehr, als wären die Augen auf ihre Lider gerichtet, Leinwände einer Vergangenheit, die die längst nicht mehr betenden Hände unfähig waren, festzuhalten. Augenkino. Sie spielen "Leben", in der Hauptrolle eine eher traurige Figur, die frappant an mein Spielgelbild erinnert, das ich seit Jahren nicht begrüßt habe. Hinter der Brille sammelt sich eine Träne zum Sturm auf meine Wange, die bedeutungslos im nächsten Glas ertrinkt. Nächstes Kapitel, die Spannung steigt. Die Zukunft des Hauptdarstellers steht auf dem Spiel. Ich hatte keine Ahnung, dß der Film interaktiv ist. Berieselung ist nicht trendy, bequemer doch in jedem Falle. "DASEIN ODER VERGANG? - TREFFEN SIE EINE ENTSCHEIDUNG!" Gläser später, eine Schraube war auch dabei, wagt die Träne einen neuen Anlauf, doch die Flasche ist noch nicht leer. Die Denkmaschine hat eine neue Frage auf den Markt gebracht, die Antwort kostet einen Herzschlag. Ich weiß genau, ich kann nicht zahlen, die Schulden sind zu hoch. Ich kaufe trotzdem, Knochenbruch. Wer sein Herz verloren hat, bezahlt mit Schmerzen. "Wir warten noch auf Ihre Antwort!", blitzt es von der Leinwand, "DASEIN ODER VERGANG? - Wenig Alternativen, was kostet dieses Programm? Noch ein Glas, während ich auf die Antwort warte. "Ein Quentchen Seele", teure Antwort, wenn man meine Schulden bedenkt. Wer führt hier eigentlich Regie? "Diese Antwort kostet einen Traum!" dröhnt eine virtuelle Stimme. Wieder Knochenbruch, die Träume sind längst in der Vergangenheit verstaubt. Schweren Herzens entscheide ich mich für "DASEIN" und suche meine Fernbedienung, die neben mir auf dem Boden liegt, wie ein letzter Gruß aus einer Welt, die ich schon vor dem Bau der Maschine hinter mir ließ. Noch während ich mich nach ihr bücke, bricht mein Rücken, und ich falle bewegungslos durch die Leinwand hinter die Bühne. Klick! |