Mit den Füßen im Fluß


Dunkelgrün
die Augen des Kindes,
das die Dämonen scheut;
zerrissene Netze
auf dem Lauf.

Glitschiges Grün
webt sich um blutende Füße,
um Storchenbeine im algigen Schlamm;
Frühlingswasser kriecht eisig empor,
benetzt die glänzende Haut:
Schmerzt Dich
mein Kind.

Du schaust hinab,
und Du fürchtest Dich,
mit den Füßen
im Fluß.


von Volker Hatlauf




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Noch nicht und nicht mehr

von Christof Jauernig


Du kommst auf die Welt vor zehntausend Jahren,
du gehst immer weiter, bis du an etwas kommst, was ein Fluß ist,
aber du weißt noch nicht, daß es ein Fluß ist;

für dich ist es ein Geist, ein Gott, ein Wesen,
ein Wesen, wunderschön, wie aus einem Guß, völlig geschmeidig,
gewaltig, glitzernd und gefährlich.

Du folgst ihm, und immer wieder strömen neue Wesen herbei
und gleiten ineinander und sind bald groß und laut und reißend
in einem vereint. Du folgst ihnen immer weiter, bis du an etwas kommst, was ein Meer ist,
aber du weißt noch nicht, daß es ein Meer ist;

für dich ist es ein riesiges, unendliches, unvorstellbares und hinterlistiges
Etwas, ein Untier, das dich mit spiegelnder Oberfläche lockt,
das unerbittlich herankriecht und sich nimmt, was sich ihm in den Weg stellt,
das dich, wütend brüllend, mit tausend salzigen Händen an sein Ufer wirft.

Du kommst auf die Welt - jetzt.
Du gehst immer weiter, bis du an etwas kommst,
was ein Geist ist, ein Gott, ein Wesen,
aber du weißt nicht mehr, daß es ein Wesen ist;

für dich ist es ein Fluß,
gebildet aus Milliarden von Molekülen,
folgend dem Gesetz der Schwerkraft,
für dich ist es ein Meer,
aufgepeitscht von Windböen
verdampft von Sonnenstrahlen,
Spielball eines kreisenden Brockens Gestein.

Du kennst sein Verhalten und nennst seine Struktur,
du füllst es ab und faßt es ein
und nennst es: Wasser.

noch nicht?
oder:
nicht mehr?

oder:

noch nicht UND nicht mehr?!



Christof Jauernig, Oktober 1996