D e r   R ä c h e r   v o n   C e n t r e v i l l e

Eine musikalische Satire

Langsam hob er seine Qerflöte zum Munde. Von weitem hörte er einen Hund kläffen. Einige Zikaden zirpten ihm zu, der Himmel war schon dunkel, blauschwarz. Von der untergehenden Sonne, der er eben noch nachgeschaut hatte, waren nur noch vereinzelte rote Wölkchen am Horizont übrig geblieben.

Vor sich im Freien einen Notenständer aufgebaut, blies er zu den blechernen Klängen, die aus seinem nebenan abgestellten Wagen drangen, den Marsch, den die Beatles mit der 'Seargents Pepper Lonely Hearts Club Band' aufspielten.

Die Notenblätter flatterten im kühler werdenden Abendwind, der langsam abflaute, um der werdenden Nacht Platz zu machen. Er blies Note für Note, leicht, improvisierte auch, unterbrochen nur von kurzem Atemholen.

Bach. Jetzt Bach. Er - ohne Noten und ganz und gar nicht werkgetreu - improvisierte zum Wohltemperierten Klavier. Fast jazzig, doch einfühlend, begleitete er die genialen Klänge einer historischen Aufnahme eines Interpreten, dessen Name heute schon keiner mehr kennt.

Eine Sirene heulte auf, irritierte Mißtöne entstiegen seiner Flöte. Das Autoradio verstummte mißgestimmt, die Cassette mit dem Bach'schem Werk verhedderte sich in der Mechanik des Wiedergabegerätes.

Scheinwerfer leuchteten grell auf. 'Hände hoch!' grellte eine blecherne Stimme auf. 'Hände hoch, Polizei' ...

Zögernd, geblendet ... er schloß halb die Augen, überrascht... hob er die Hände, sein Musikinstrument noch in der Linken.

'Lassen sie die Waffe fallen!' blaffte ihn die blecherne Stimme an. Das Megaphon verkündete wiederholt 'Lassen sie die Waffe fallen oder ich schieße'. - Er ließ seine Waffe nicht fallen. Das war sein Fehler.

Der vermeintliche Übeltäter, blutüberströmt, wurde von den Sanitätern aufgelesen und auf die Bahre gelegt. Seine 'Waffe', die Querflöte, wurde beschlagnahmt.

Der Megaphonist war stolz auf sich. 'Den hätten wir.' Um die 'Waffe' kümmerte er sich schon nicht mehr. Die Spurensuche sollte den Rest erledigen, er hatte seine Pflicht getan.

Befriedigt klappte er sein Notizbuch zu, mit dem er sich täglich seine Erfolge referierte.

Diese Bachsympathisanten nahmen ja auch Überhand. Da mußte eingegriffen werden. Wo kämen wir da auch hin, wenn jeder Bach nach Lust und Laune interpretiern würde?

Thomas Rehm