Worte
von Carola Heine
Sollte ich es nicht wollen, setze ich diese Ausdrucksfähigkeit ebenso mühelos ein, um abzulenken oder einen Eindruck zu verändern. Ich beschreibe und umschreibe und bestimme exakt das Maß der Aufmerksamkeit, die ich zu erhalten (oder nicht zu erhalten) wünsche. Das Wort ist eine gewisse Art von Macht... Was redet diese Frau? Sie schreibt ganz gut, naja, jedermanns Geschmack sind ihre Stories nicht, aber immerhin - gelegentlich wird etwas veröffentlicht und auch das erste Buch erscheint. Aber ist das so bemerkenswert? Und selbst wenn, warum soviele Worte darüber verlieren? Worte, hart und knapp und spöttisch, lassen den Schalterbeamten einen spontanen Ehrgeiz entwickeln, dieses schwierige und anspruchsvolle Frauenzimmer loszuwerden, und sei es, daß man dafür sogar schneller arbeitet. Worte, bestimmend und charmant, lassen den Arzt vergessen, daß er ein weißer Gott ist und veranlassen ihn zu der Erkenntnis, daß Patienten Individuen sind. Worte, zart und sanft, lassen den Polizisten entdecken, daß man Strafzettel auch zerknüllen kann und die Verkäuferin im Geschäft vergeben, daß man nicht nur kein passendes Wechselgeld, sondern sogar unverschämterweise einen großen Schein hat. Worte machen Platz, reservieren Plätze, tragen Koffer und machen sich ausnehmend gut auf weißem Papier. Von Webseiten ganz zu schweigen. Es ist so selbstverständlich für mich, bestimmt zu sprechen zu den einen und zu gurren und zu schnurren mit den anderen. Ganz sicher bin ich keine große Ausnahme. Nebenbei fange ich auch noch Worte ein und zwinge sie dazu, auf dem Papier in der Formation zu stehen, die ich wähle. Das ist nicht nur Tagebuchschreiben oder Gewohnheit, das ist eine Art zweiter Verdauung. Durchkauen, 'raus damit auf das Papier und schon kann ich's vergessen. Dabei habe ich nicht bedacht: Was für mich Entschlackung ist, kann für jemand anderen ein Messer sein. Wenn meine Worte ihn betreffen. Da kann ich recht haben - und dann tut es noch mehr weh - oder auch nicht, ich mußte erst lernen, daß Worte über Personen nicht funktionieren, ohne die Personen zu betreffen. Für mich war es ein losgelöstes Erlebnis, meine Meinung aufzuschreiben, meist mit sehr viel mehr Schwung und Pfeffer, wenn es eine negative war. Lästern ist lustiger als loben. Den Mensch dahinter auf der Gegenseite hatte ich wahrhaftig vergessen im Wirbel der Worte, die mir so eifrig gehorchten. Unlogisch? Naiv? Nein, gar nicht. Das ist eine Erfahrung, die ich in dieser Art nur im Web machen konnte, wo ich meine Gedanken offen legte in einer Art Tagebuch. Wer kriegt denn sonst schon mit, was ich loslasse? Ich dachte, es sei ein Experiment und hielt mich für verwundbar auf eine für mich interessante Art. Natürlich war es gar nicht so, denn mich konnten die Reaktionen auf meine Reaktionen wiederum gar nicht großartig kratzen. Es ist ein bißchen ungewöhnlich, so vor allen unverblümt in Worte zu packen, was man denkt, fühlt und erlebt. Das wußte ich allerdings, aber es war nicht so, wie ich gedacht hatte, sondern wie ein öffentliches Tagebuch eben. Nicht spannend. Und dann habe ich jemandem wehgetan, die eine dieser spontanten Momentaufnahmen meiner Gedanken gelesen hat und wußte, daß sie gemeint ist. Ob ich diese Person nun mag oder nicht, hat damit nichts zu tun. Ihre Gefühle auf die Art zu verletzen, wie ich es tat, das hätte mir nicht passieren dürfen und das wollte ich auch nicht. Es ist passiert, weil mein Bedürfnis nach Worten größer war als die Einsicht, daß ich auf einen Menschen ziele. Nach all der langen Zeit habe ich jetzt wieder erkannt, welche Waffe ich so großzügig schwinge. Es wurde wohl Zeit, denn so schwach ist sie nicht, eher eine Art verbaler Flammenwerfer in meinem Fall, das sollte kein Gebrauchsgegenstand werden. Keine Worte ohne Menschen. Und selten Menschen ohne Worte. Manche haben auch zuviele, zu wilde oder zu zahme. Meine werden sich nicht völlig bändigen lassen. Aber vielleicht filtern. Mit dem Alter oder bald schon bedächtiger werden, vorsichtiger. Rücksichtsvoller. Das bringt nicht soviel Applaus, aber man fühlt sich damit auch nicht so schlecht. Kein Flammenwerfer. Mehr so ein gleichmäßig angenehmes Leselicht. |