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Angst

von Carola Heine



Eben noch hatte ich unter dem Strahl der Dusche gestanden und das kühle Wasser genossen, um mich für den Abendspaziergang am brasilianischen Strand zu erfrischen. Südamerika, was für ein sinnliches Land - sogar Abkühlung wurde durch die vibrierende Luft 'dort draußen' zu einem ekstatischen Erlebnis. Selten weiß man das kalte Naß so zu schätzen, dachte ich und trat einen Schritt zurück, um nach einem Handtuch zu greifen. Um eine Winzigkeit mußte ich mich verschaetzt haben, denn ich stieß mit dem Fuss gegen die Wand und rutschte weg. Autsch, der andere Fuss war unter die Tür geraten!

Erst sah ich den kleinen Schnitt nur an. So weiß ist mein Fleisch von innen? Dann schoß das Blut durch den frischen Kanal in meiner Haut und automatisch stellte ich den Fuß in den Strahl der Dusche. Instinktiv, um das Blut fortzuwaschen. Ein stechender Schmerz bestrafte mich und ich schnappte ein Handtuch, um den Fuß hochzulegen und zu warten, bis die Blutung schwächer wurde. Kleine dunkelrote Fußtapfen auf dem weißen Marmor. Ich setzte mich aufs Bett und war plötzlich ganz unglaublich froh, daß morgen der letzte Tag war.
Dann kam die Angst. Wie ein fester Griff um mein Herz. Ich hatte sogar das Gefühl, es sei dunkler geworden im Zimmer und schalt mich eine Närrin.

Die warme Luft, die ich so genossen hatte, war in wenigen Sekunden zu einer bösartig flirrenden Atmosphäre geworden, die Millionen und Myriaden feindlicher Bakterien, Viren und Keime beherbergte. Ich hatte Angst. Der kleine Schnitt hatte die Tür zu meinem Körper geöffnet, damit verglichen waren Cocktails mit Eiswürfeln aus einheimischem Wasser und Experimente in ortsansässigen Imbissbuden ein Witz. Es tat auch irgendwie so weh. Das Zimmermädchen kippte Jod über meinen Fuß und ich gab ihr ein hohes Trinkgeld, weil alles voller blutiger Fußstapfen war. Sie fand den Schnitt nicht so schlimm und ich kam mir albern vor.

Wieder alleine mit der Angst. Pochte und hämmerte es in meinem Fuß oder war ich einfach hysterisch und über-antibakteriell, wie es den Deutschen so gerne nachgesagt wird...? Irgendwie packte ich die Koffer. Die Angst saß auf meiner Schulter und ich war wütend auf mich, weil ich sie nicht loswurde. 'Hey, Du hast Tetanus und auch sonst wird nichts passieren. übermorgen um die Zeit bist Du zuhause und lachst darüber."

Langsam verflog die Angst. Ich war auch viel zu müde, auch noch am nächsten Morgen nach zehn Stunden unruhigen Schlafs. Und mein Kopf war so warm. Ausserdem hatte ich schweres Gepäck und niemand half mir, obwohl sie meinen blutenden Fuß sehen konnten. Hingehen und darum bitten ging nicht, ich wuße selbst nicht warum, irgendwie war mein Kopf so langsam, so schwer. War ich das in Lissabon auf dem Flughafen, die im Rollstuhl zur Flughafenärtzin gefahren wurde?

Ich hatte keine Angst, nur so einen dumpfen Schmerz im Fuß. Besser als Angst, auf alle Fälle. Und komisch, jetzt haben sie mir auch alle mit dem Gepäck geholfen und alle sahen irgendwie so seltsam aus, als sei jemand gestorben oder so. Im Flugzeug nach Frankfurt hat man Eis auf meinen Fuß gepackt, ich hatte eine ganze Sitzreihe für mich allein. Aber keine Angst. Nur einen sehr geschwollenen Fuß, blau und grün und irgendwie fand ich, er sah aus wie eine Requisite aus einem Film mit Wasserleichen. Die Stewardess hat nicht darüber gelacht. Wer hat mich eigentlich abgeholt, so daß ich nicht mit dem Zug weitermußte? Zum Krankenhaus gefahren? So richtig klar ist mir das gar nicht mehr. Ich kannte mich selbst nicht mehr.

Aber die Angst, die habe ich wiedererkannt. Direkt als der Arzt sagte "Den Fuß müssen wir amputieren", da war sie wieder bei mir und krallte sich um meinen Hals. Ich sagte nur noch "NEIN" und war auf einmal wieder sehr wach. "Dann verlieren Sie auch das Bein", meinte lakonisch der Arzt, den ich verklagen würde, wenn ich mich nur daran erinnern könnte, wer er war und wie er aussah.

Es ist dann am Ende nicht so weit gekommen, vielleicht auch, weil ich mir durch meinen wütenden Protest Zeit erkämpfte. Aber ich habe jetzt Angst vor Krankenhäusern und gehe nicht mehr hinein. Seitdem ist die Angst auch sonst eine gute Bekannte von mir. Sie weckt mich nachts mit neckischen kleinen Spielchen. "Ist der Fuß noch dran? Guck mal nach...." Dieses Gefühl der absoluten Hilflosigkeit dort in dem Hotelzimmer in Brasilien und der Moment, als der Arzt meinen Fuß abnehmen wollte, beide werde ich nie vergessen.

'Ein einschneidendes Erlebnis!', meint ein Bekannter und ich soll darüber lachen. Das tue ich wohl auch höflichkeitshalber, einfach weil es die Diskussion nicht wert ist. Aber wenn ich die Augen schließe, bin ich wieder in dem Hotelzimmer in Brasilien und die Luft ist voller Feinde.

©Carola Heine


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